Zur schrittweisen Wiederaufnahme des Unterrichts ab dem 27.4.2020

Informationen und Hinweise der GEW-Kreisverbände Groß-Gerau und Main-Taunus

Stand 19.4.20

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

den Brief des Kultusministers vom 16.4. an alle Schulen und andere in diesem „Update“ genannte Dokumente finden Sie als Download auf unserer Homepage www.gew-gg-mtk.de.

Diesem Brief des Kultusministers ist zu entnehmen, welche Schulformen und Schulstufen am 27.4.2020 den Unterricht wieder aufnehmen sollen.  Nach Angaben des HKM sind davon 230.000 der rund 750.000 hessischen Schülerinnen und Schüler betroffen.

Besondere Besorgnis und Unverständnis hat die Tatsache ausgelöst, dass auch die 4. Klassen der Grundschulen ab dem 27.4.2020 - und damit deutlich früher als in allen anderen Bundesländern –

wieder unterrichtet werden sollen. Die Fachgruppe Grundschule des GEW-Kreisverbands Groß-Gerau hat auf diese Entscheidung unmittelbar am 17.4. mit einer Presseerklärung reagiert, die ebenfalls auf der Internetseite www.gew-gg-mtk.de veröffentlicht wurde. Die dort formulierten Forderungen gelten gleichermaßen für alle anderen Schulformen und Schulstufen:

Die GEW Groß-Gerau fordert die Schulträger im Kreis Groß-Gerau und das Staatliche Schulamt in Rüsselsheim auf, die Berichte aus den Schulen ernst zu nehmen und verantwortungsvoll zu handeln. Dazu gehören:

  • ausreichende Vorlaufzeiten für die Wiederaufnahme von Präsenzunterricht
  • verantwortungsbewusste, am Alter der Kinder orientierte maximale Gruppengrößen, die die Einhaltung der Abstandsregeln wenigstens im Klassenraum ermöglichen
  •  verbindliche Vorgaben für die Verfügbarkeit von Desinfektionsmitteln und – falls erforderlich oder gewünscht – von ausreichendem Mundschutz, für die Ausstattung der Klassenräume mit Handwaschmöglichkeiten, Seife und Einmalhandtüchern und hygienischen Entsorgungsmöglichkeiten (z.B. geschlossene Mülleimer) sowie für die Reinigungsstandards und -intervalle unter den Bedingungen einer Pandemie
  • klare Festlegungen für alle in Schulen Beschäftigten in der Altersgruppe ab 60 Jahre und mit wesentlichen Vorerkrankungen
  • Festlegungen für den Betreuungsanspruch von Lehrkräften mit Kindern (alleinerziehend bzw. beide Eltern berufstätig) bzw. Freistellungsregelungen, wenn eine solche Notbetreuung nicht zur Verfügung steht
  • Regelungen zum Ausschluss von Kindern vom Unterricht, die Erkältungssymptome zeigen oder die Hygieneregeln wiederholt oder massiv missachten

Dass der Unterricht nicht bis zum vollständigen Ende der Corona-Pandemie ausgesetzt werden kann, ist auch für die GEW unstrittig. Die Eile, das Vorpreschen und die Argumentation der hessischen Landesregierung halten wir jedoch für hoch problematisch:

  • Die Abstandsregelungen und das Verbot jeder Ansammlung von Menschen werden von der Politik weiter mit hoher Intensität forciert und durchgesetzt – wie wir meinen zu Recht! In Läden, die jetzt wieder geöffnet werden können, darf nicht mehr als eine Person pro 20 Quadratmetern Verkaufsfläche eingelassen werden. Für Schulen scheint all das keine Rolle zu spielen!
  • Die Vorstellung, dass man die Abstands- und Verhaltensregelungen im schulischen Kontext durchsetzen kann, ist unrealistisch. Das ging vielleicht noch beim Abitur, nicht jedoch bei Grundschulkindern und Jugendlichen in der Pubertät. Insoweit halten wir das Argument des Kultusministers, man habe das „beim Abitur alles erfolgreich erprobt“, für absurd.
  • Statt die Hinweise auf mangelnde hygienische Bedingungen an Schulen ernst zu nehmen, erklärte Minister Lorz, man könne „nicht warten, bis die letzte Schultoilette auf dem neusten Stand ist“.

Im folgenden gehen wir auf einzelne Aspekte genauer ein:

Gruppengrößen

Das HKM enthält die Aussage, dass die Gruppengröße in Abhängigkeit von den räumlichen Gegebenheiten „in der Regel 15 Schülerinnen und Schüler nicht übersteigen“ soll. Dabei ist „ein Mindestabstand von 1,5 Metern in alle Richtungen“ einzuhalten. Eine Differenzierung nach Jahrgangsstufen ist nicht zu finden. Die Verfügung der Leiterin des Staatlichen Schulamts Rüsselsheim vom 19.4. enthält keine Aussagen zu den Gruppengrößen und verweist nur auf die „notwendige Teilung der Klassen in kleinere Gruppen“.

Die GEW hat die dringende Empfehlung an alle Schulleitungen, Personalräte und Kollegien, sich nicht einer solchen Richtgröße zu unterwerfen, sondern verantwortungsbewusst unter Berücksichtigung des Bewegungsverhaltens der Schülerinnen und Schüler und der Raumgrößen auch deutlich kleinere Gruppen zu bilden.

Unterrichtsangebot

Das HKM spricht ebenfalls unabhängig von der Jahrgangsstufe und Schulform von „mindestens 20 Wochenstunden“.

Die GEW geht davon aus, dass dieses Volumen in vielen Fällen angesichts der vielen Kolleginnen und Kollegen, die als Angehörige einer Risikogruppe und wegen des Einsatzes in der – inzwischen  weiter ausgeweiteten - Notbetreuung nicht zum Präsenzunterricht verpflichtet sind (siehe unten), nicht zu erfüllen sein wird. Selbstverständlich sollten die Personalräte in die Erstellung der Einsatzpläne einbezogen werden.

Wir haben auch hier die dringende Empfehlung an alle Schulleitungen, Personalräte und Kollegien, sich einer solchen Vorgaben von „mindestens 20 Wochenstunden“ nicht zu unterwerfen, sondern nur das zu machen, was mit den vorhandenen Personen und einem verantwortungsbewussten Umgang mit deren Arbeitskraft und Gesundheit möglich ist. Über entsprechend notwendige Einschränkungen des Unterrichtsangebots sollte man offensiv berichten.

Hygienische Bedingungen

Die GEW-Kreisverbände Groß-Gerau und Main-Taunus haben in einem offenen Brief an die Schulträger im Kreis Groß-Gerau und im Main-Taunus-Kreis am 5.4.2020 gefordert, die verbleibende Zeit bis zur Wiederaufnahme des Unterrichts für eine gründliche Bestandsaufnahme der hygienischen Bedingungen, für eine Grundreinigung und Desinfektion aller Räume und für die Bereitstellung der notwendigen Ausstattung zu nutzen. 

Der Kreis Groß-Gerau stellte in seiner Antwort gegenüber der Presse fest, dass die meisten Klassenräume über Waschbecken verfügten und vor der kompletten Schließung alle  Waschbecken mit Seifenspendern und Einmalhandtüchern ausgestattet  worden seien. Die Schließzeit solle  genutzt werden, um alle Räumlichkeiten gründlich zu reinigen.  Außerdem seien die Reinigungsfirmen  angewiesen worden, desinfizierend zu reinigen und zusätzlich einmal am Tag alle Türklinken zu desinfizieren.  Landrat Thomas Will erklärte inzwischen, auch er halte es „für falsch, auch die Klassen 4 der Grundschule im ersten Schritt dazu zunehmen“. Das Schreiben des Hessischen Kultusministers hinterlasse „mehr Fragen als Antworten“.

Die Stadt Rüsselsheim habe mit den Reinigungsfirmen vertraglich  vereinbart, dass besondere Sorgfalt auf die Hygiene der Sanitärräume,  Küchenbereiche und Theken gelegt werden soll. Gleiches gelte für  Türklinken und die Griffbereiche aller Türen. Die Schulgebäude  verfügten über ausreichend sanitäre Anlagen.

Der Main-Taunus-Kreis teilte der GEW mit, er habe die Grundreinigung an Schulen vorgezogen und die durch die Notbetreuung genutzten Räumlichkeiten würden besonders intensiv gereinigt. Die in Klassenräumen vorhandene Waschbecken wurden mit Seife und Handtuchpapier ausgestattet. Eine Notwendigkeit zur flächendeckenden Desinfektion gebe es „ausdrücklich nicht“. Desinfektionsmittel benötigen die Schulen nach Angaben des Landrats „nur situationsabhängig bei Verschmutzungen mit Blut, Erbrochenem oder ähnlichem“, so dass es hier „keine Änderung zu den bisherigen Anforderungen“ gebe.

Statt selbst ein Hygienekonzept mit Mindeststandards unter den Bedingungen einer Pandemie vorzulegen, kündigt das HKM lediglich „ein Muster für einen schulischen Hygieneplan“ an. Die GEW hat die dringende Empfehlung an alle Schulleitungen, Personalräte und Kollegien, sich die Hygienepläne der Schulträger vorlegen zu lassen und deren Einhaltung zu überprüfen. Mängel bei der Ausstattung und der regelmäßigen und sorgfältigen Durchführung der Hygienemaßnahmen müssen umgehend sowohl an die Schulträger als auch an das Schulamt gemeldet werden. In diesem Zusammenhang verweist die GEW ausdrücklich auf die aktuellen SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, die wir ebenfalls als Download bereitstellen (insbesondere Punkt 2. Sanitärräume, Kantinen und Pausenräume). Wenn, wie die Landesregierung immer wieder betont, die Gesundheit der Menschen oberste Priorität hat, muss dies auch für die Bedingungen zur Wiederaufnahme des Unterrichts gelten. Wenn der Unterricht aufgrund mangelnder hygienischer Bedingungen nicht fortgesetzt werden kann, muss dies von Schulleitungen unmittelbar veranlasst und berichtet werden.

Mund-Nasen-Bedeckung

Die jüngste Ergänzung der Corona-Verordnung der hessischen Landesregierung vom 16.4.2020 (Gesetz- und Verordnungsblatt vom 18.4.2020) enthält die „dringende Empfehlung“ zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in allen Situationen, „in denen Maßnahmen der physischen Distanzierung nur schwer eingehalten werden können“. Weder das Schreiben des Ministers vom 16.4. noch die ergänzende Verfügung der Leiterin des Staatlichen Schulamts Rüsselsheim vom 19.4. enthalten dazu eine Aussage – von der Bereitstellung geeigneter Schutzmaßnahmen für Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler, dort wo dies erforderlich bzw. gewünscht ist, ganz zu schweigen.

Risikogruppen: Befreiung vom Präsenzunterricht

Weder das Schreiben des Ministers vom 16.4. noch die Verfügung der Leiterin des Schulamts vom 19.4. weisen darauf hin, dass der Begriff der Risikogruppe für Lehrkräfte und für Schülerinnen und Schüler, die von Schulbetrieb in Form des Präsenzunterrichts „befreit“ sind, mit der Änderung der Corona-Verordnung am 16.4. (Veröffentlichung im Gesetz- und Verordnungsblatt am 18.4.) neu gefasst und deutlich erweitert wurde:

Zweite Corona-Verordnung: Ergänzung des § 3 durch den folgenden Absatz 4

(4) Schülerinnen, Schüler, Studierende und Lehrkräfte, die bei einer Infektion mit dem SARSCoV2-Virus dem Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs ausgesetzt oder älter als 60 Jahre alt sind (Risikogruppe), sind vom Schulbetrieb nach Abs. 1 bis 3 weiter befreit. Gleiches gilt für Schülerinnen, Schüler, Studierende und Lehrkräfte, die mit Angehörigen einer Risikogruppe im Sinne des Satz 1 in einem Hausstand leben.

Ein Einsatz ist somit nur auf freiwilliger Grundlage möglich. Wird hier moralischer Druck angewendet, ist ein solidarisches Verhalten aller Beschäftigten und der Personalräte erforderlich.

Zu der Frage, wann ein erhöhtes Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs gegeben ist, ist in den bisherigen Verordnungen von „relevanten Vorerkrankungen“ die Rede. Eine Präzisierung findet man in der FAQ-Liste des HKM zu der Frage, welches Personal in der Notbetreuung eingesetzt werden kann. Diese Definition entspricht den Vorgaben des Robert-Koch-Instituts:

 „Für Personal ab einem Alter von 60 Jahren und alle, bei denen eine Grunderkrankung (z.B. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Erkrankungen des Atmungssystems, der Leber, der Niere sowie Krebserkrankungen) vorliegt, sowie Personen mit unterdrücktem Immunsystem kann ein etwaiger Einsatz in der Notbetreuung nur auf freiwilliger Basis erfolgen.“

kultusministerium.hessen.de/schulsystem/coronavirus-schulen/fuer-schulleitungen/haeufig-gestellte-fragen > Welches Personal kann in der Notbetreuung eingesetzt werden?

Eine förmliche Regelung zum Nachweis relevanter Vorerkrankungen ist uns nicht bekannt. Wird der Tatbestand von der Schulleitung, die für den Einsatz der Lehrkräfte bzw. die Freistellung von der Schulpflicht zuständig ist, bezweifelt, kann der Nachweis durch entsprechende Behandlungsbefunde oder die Bescheinigung eines Haus- oder Facharztes erbracht werden.

Die Freistellung vom Präsenzunterricht setzt keine Krankmeldung voraus. Die GEW rät dringend von einer solchen Krankmeldung ab, da sie ggf. bei einer längeren Dauer zu einer Überprüfung der Dienstfähigkeit führen könnte und für tarifbeschäftigte Angestellte zu einem Wechsel in den Bezug von Krankengeld. Außerdem erfüllen die betroffenen Lehrkräfte weiter alle außerhalb des Präsenzunterrichts zu erledigenden Dienstpflichten, z.B. die Fortsetzung des schulischen Lernens im „Homeschooling“ und die Unterstützung der Lehrkräfte, die den Präsenzunterricht durchführen. Auch die Leiterin des Staatlichen Schulamts Rüsselsheim stellt in ihrer Verfügung vom 19.4. klar, dass die Dienstleistungspflicht „außerhalb von Betreuung und Präsenzunterricht“ fortbesteht.

Lehrkräfte mit Kindern unter 12 Jahren

Die GEW hat immer wieder auch auf die Probleme von Lehrkräften mit kleinen Kindern hingewiesen, die wegen der Schließung der Schulen und Kitas zu Hause betreut werden müssen. Die GEW fordert auch hier klare Regelungen.  Die Notlösung, bei einem Einsatz der Lehrkräfte in der Notbetreuung die eigenen Kinder mitzunehmen, stand in einem deutlichen Widerspruch zum Grundsatz der Reduzierung von Sozialkontakten. Die Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts für 30% der hessischen Schülerinnen und Schüler wird das Problem verschärfen. Die Gruppe der Eltern, die einen Anspruch auf eine Notbetreuung haben, wurde zwar jetzt mit der letzten Änderung der Corona-Verordnung auf alle alleinerziehenden berufstätigen Eltern erweitert, Lehrkräfte sind in der Liste der „systemrelevanten Berufe“ weiterhin nicht aufgeführt. Deshalb fordert die GEW auch hier notwendige Freistellungen für Arbeiten im Homeoffice, auch wenn dies den Kreis der Beschäftigten, die im Präsenzunterricht eingesetzt werden können, weiter reduziert.

Ein erstes Fazit

Berichte aus den Schulen helfen uns, all diese Probleme weiter zu bearbeiten und zu transportieren. Sowohl der Hauptpersonalrat als auch der Gesamtpersonalrat beim Staatlichen Schulamt in Rüsselsheim sind in intensiven Gesprächen mit der Schulaufsicht, auch wenn es derzeit nicht leicht ist, in der „Stunde des Exekutive“ Mitbestimmungsrechte wirksam wahrzunehmen. Aber wir scheuen auch nicht den Weg in die Öffentlichkeit. Deshalb fordern wir alle Schulleitungen, Personalräte, Kollegien und auch die Elternbeiräte und Schülervertretungen auf, die Mängel nicht schön- und kleinzureden, sondern offensiv zu benennen und auch in der jeweiligen Verantwortung Vorgaben in Frage zu stellen.

Anlagen als Download auf der Homepage www.gew-hessen.de

* Schreiben des Kultusministers vom 16.4.2020 an alle Schulen

* SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales

* Presseerklärung der GEW-Fachgruppe Grundschule im Kreis Groß-Gerau vom 17.4.2020