Start mit Nöten

Lehrermangel auch im Kreis Groß-Gerau und im Main-Taunus-Kreis

Beim Erscheinen der Ausgabe von GEW regional ist das neue Schuljahr schon nicht mehr ganz so neu. Da die Nöte aber nicht nur einem holprigen Start und den üblichen Anlaufschwierigkeiten zuzuschreiben sind, sondern fortdauern, werfen wir noch einmal einen Blick zurück:

  • Der  Anstieg der Schülerzahlen setzt sich weiter fort. Wie in den vergangenen Jahren geht die Schere innerhalb Hessens auseinander. Insbesondere die Rhein-Main-Region verzeichnet einen starken Zuzug. In vielen Orten im Kreis Groß-Gerau und im Main-Taunus-Kreis wurden Neubaugebiete erschlossen und inzwischen auch bezogen. Das ungleiche Angebot an Arbeitsplätzen verstärkt diesen Trend.
  • Viele Stellen können nicht mit ausgebildeten Lehrkräften besetzt werden. Dies gilt insbesondere für die Grund- und Förderschulen und für Mangelfächer auch in der Sekundarstufe I und in den Beruflichen Schulen. Da Kolleginnen und Kollegen ohne Lehramt nach den schulrechtlichen Vorschriften nur befristet beschäftigt werden können, steigt die Zahl der befristeten Verträge weiter an. Ohne sie ist Schule nicht mehr machbar! Die Kolleginnen und Kollegen sind willkommen und viele leisten gute Arbeit, aber sie brauchen Unterstützung und Anleitung. Das ist angesichts einer wachsenden Arbeitsbelastung kaum noch leistbar.
  • Die GEW hat im letzten Schuljahr öffentlich und in vielen internen Beratungen auf den überdurchschnittlich hohen Anteil an befristeten Verträgen an den Schulen  im Kreis Groß-Gerau und im Main-Taunus-Kreis im Vergleich mit allen anderen Schulamtsbezirken hingewiesen. An den Grundschulen waren 16% der Stellen nur befristet besetzt, an den Integrierten Gesamtschulen sogar 20%. Hier gibt es zwar keine Trendwende, aber immerhin achtet das Staatliche Schulamt jetzt darauf, dass Kolleginnen und Kollegen mit Lehramt auch in diesen Schulformen eine Planstelle erhalten und nicht in andere Schulamtsbezirke abwandern.
  • Die Zahl der Stellen für Intensivklassen ging zurück, da auch weniger Intensivklassen gebildet werden. Bestehen bleiben jedoch die Probleme beim Übergang von der Intensivklasse in die Regelklasse. Hier müssen dringend zusätzliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.
  • Die Zahl der Stellen für Ganztagsangebote wurde angehoben. Allerdings ging die Hälfte der zusätzlichen Stellen in neue Angebote für eine Pädagogische Mittagsbetreuung, die die Anforderungen der GEW für ganztägig arbeitende Schulen bei weitem nicht erfüllt.
  • Auch die Zahl der Stellen, die für den inklusiven Unterricht zugewiesen wurden, wurde von 170 auf 184 erhöht. Diese erfreuliche Entwicklung kollidiert jedoch mit dem erheblichen Mangel an Förderschullehrkräften, so dass auch die Beratungs- und Förderzentren oft nicht mehr in der Lage sind, ausgebildete Fachleute an die allgemeinen Schulen zu entsenden. Hier fordert die GEW auf politischer Ebene und in den Personalräten, dass in diesem Fall die Ressource den allgemeinen Schulen direkt zugewiesen wird, so dass die Schulen insbesondere eine Doppelbesetzung im inklusiven Unterricht organisieren können. Die Rückmeldungen über die Umsetzung der Inklusion sollten uns große Sorgen machen. Sowohl die Kolleginnen und Kollegen an den allgemeinen Schulen, die Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf ohne ausreichende Ressourcen für die Unterstützung im Unterrichtsalltag in übervolle Klassen aufnehmen müssen, als auch die Förderschullehrerinnen in den Beratungs- und Förderzentren sind überlastet, so dass Inklusion immer mehr zum Unwort wird. In einem aktuellen offenen Brief der Personalräte der Förderschulen im Kreis Groß-Gerau klagen sie über „zu viele Kinder mit unterschiedlichsten Bedürfnissen in großen Klassen, zu wenig Förderlehrerstunden zur Unterstützung der Klassenlehrkraft und zur individuellen Förderung der Kinder, mangelnde Zeit für Kooperationen und zu viel Bürokratie“. Und das in einer Region, wo der gemeinsame Unterricht in Hessen vor über 30 Jahren unter anderem an der Grundschule Südwest in Eschborn im Main-Taunus-Kreis aus der Taufe gehoben wurde oder die Helen-Keller-Schule und die Grundschule Königstädten in Rüsselsheim eine Vorreiterrolle für die Integration von Kindern mit einer geistigen Behinderung hatten!
  • Insgesamt 58,8 Stellen wurden als zusätzliche Lehrerstellen nach dem Sozialindex zugewiesen. Das entspricht einem Anteil von 2,0% der Gesamtstellen im Kreis Groß-Gerau und im Main-Taunus-Kreis. Die GEW unterstützt die Forderung von Professor Weishaupt vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF), dass dieser Anteil auf 6 bis 7% erhöht und schulscharf zugewiesen werden muss. Der Kreis Groß-Gerau ist unter allen hessischen Landkreisen der mit dem höchsten Anteil von Migrantinnen und Migranten und gleichzeitig der Landkreis mit dem höchsten Anteil von Kindern in Familien mit SGB II Bezug (GEW regional Juni 2018).
  • Die geplante Einstellung von 700 Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen zur unterrichtsunterstützenden Begleitung (UBUS) ist unzweifelhaft eine Reaktion auf die Überlastung von Lehrerinnen und Lehrern gerade in den sozialen Brennpunkten. Starten sollten sie zunächst in den Grundschulen bereits Anfang Februar, in den weiterführenden Schulen zum 1.Augst. Allerdings waren auch zum Schuljahresbeginn viele Stellen noch nicht besetzt oder noch nicht einmal ausgeschrieben.  Die neuen Kolleginnen und Kollegen können sich mit ihren Fragen und Anregungen gern auch an die GEW wenden, ebenso die Personalräte der Schulen, die der Einstellung und der Eingruppierung zustimmen müssen.
  • Auch ein anderes Problem war auch am Anfang des Schuljahrs deutlicher als jemals zuvor spürbar: Wenn sich Lehrerinnen und Lehrer in Zeiten des Lehrermangels die Stellen aussuchen können, dann ist es für Schulen im sozialen Brennpunkt immer schwieriger, ihre Stellen zu besetzen. So wirkt sich auch der Lehrermangel unterschiedlich aus. Und wir beobachten mit Sorge, dass immer mehr Lehrerinnen und Lehrer gerade in den sozialen Brennpunkten ausgebrannt sind, in den Vorruhestand oder in Teilzeit gehen oder Versetzungsanträge stellen.

Bei der Demonstration am 22.September in Frankfurt waren es viele, die „bessere Bedingungen für gute Bildung“ forderten. Beim nächsten Mal müssen es noch viel mehr werden.

Harald Freiling