Für kostenloses Schülerticket

Im Gespräch mit Stefan Stein, Vorsitzender des Kreiselternbeirats Groß-Gerau

Foto: Stefan Stein sprach bei der Veranstaltung des GEW-Kreisverbands Groß-Gerau am 22.Mai 2018 in Rüsselsheim ein engagiertes Grußwort.

Am 29. Januar 2019 wählte der Kreiselternbeirat Stefan Stein zum dritten Mal zu seinem Vorsitzenden. Die GEW schloss sich den Glückwünschen und den guten Wünschen für eine erfolgreiche Arbeit des Kreiselternbeirats (KEB) an. Gleich auf der ersten Sitzung ging es auch um die Ungerechtigkeiten bei der Übernahme der Kosten für die Schülerbeförderung, für die nach § 161 des Schulgesetzes der Schulträger zuständig ist (siehe Kasten). Das Thema sorgt immer wieder für Zündstoff, da nur die Eltern eine Kostenerstattung bekommen, für deren Kinder der Schulweg zur Grundschule mehr als zwei Kilometer bzw. zur Sekundarstufe I mehr als drei Kilometer beträgt. Für Schüler, die die Oberstufe oder eine berufliche Vollzeitschule besuchen, gibt es keine Erstattung. Gemessen wird immer nur der Weg zur nächsten Schule und nicht zu der Schule, die die Eltern im Rahmen der freien Schulwahl wählen.

Eine ganz neue Dimension bekam das Thema mit der Einführung eines Schülertickets, das seit Beginn des Schuljahres 2017/2018 für einen Jahrespreis von 365 Euro zur Fahrt in ganz Hessen berechtigt und auch von Schülerinnen und Schülern der Oberstufen und Beruflichen Schulen erworben werden kann. Aber nur die nach § 161 anspruchsberechtigte Eltern bekommen diesen Betrag vom Schulträger erstattet, alle anderen nicht. Eigentlich ist das günstige Schülerticket eine gute Sache, meinte auch der Vorsitzende des Landeselternbeirats Korhan Ekinci, doch mit gravierenden negativen Folgen:

„Für alle nicht anspruchsberechtigten Schülerinnen und Schüler fallen zum Beispiel bei Klassenausflügen zusätzliche Kosten für die Beförderung an, während die anderen Kinder diese vom Schulträger über das Hessenticket spendiert bekommen. Schließlich bleibt ihnen zudem noch die Möglichkeit der vielfältigen und konstruktiven Freizeitgestaltung verwehrt wie zum Beispiel der Besuch von sportlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Veranstaltungen, die von ihrem Wohnort entfernter gelegen sind.“

Entsprechende Beschwerden wurden auch im KEB Groß-Gerau vorgetragen. Treffen sich Schülerinnen und Schüler ein und derselben Klasse zum Beispiel um eine Gruppenpräsentation vorzubereiten, dann können die einen – dank weiterem Schulweg – das für ihre Eltern kostenfreie Hessen-Ticket nutzen und die anderen müssen zahlen. Der KEB Groß-Gerau beschloss, dieses Thema in seiner neuen Amtszeit lautstark nach außen zu tragen und hier nicht locker zu lassen. Harald Freiling sprach für GEW regional mit Stefan Stein.

Im Gespräch mit Stefan Stein, Vorsitzender des Kreiselternbeirats Groß-Gerau

Was war der Anlass für den KEB, jetzt aktiv zu werden?

Die Regelungen im § 161 des Schulgesetzes sind ja immer wieder Thema bei den Elternbeiräten. Nicht jedes Grundschulkind kann einen Schulweg von zwei Kilometern bei Wind und Wetter und mit einem schweren Ranzen leicht bewältigen und im Zweifelsfall fährt eben doch das Eltern-Taxi. Und das nächstgelegene Gymnasium, das als Kriterium für den Anspruch auf Schülerbeförderung herangezogen wird, ist nicht unbedingt das geeignete mit dem gewünschten Angebot bei Fremdsprachen oder mit einer Musik- oder Sportklasse. Aber jetzt gibt es eine ganz neue Debatte, seitdem es das landesweit gültige Schülerticket (Hessenticket) gibt. Eltern von Kindern in der Sekundarstufe I, deren Schulweg kürzer als drei Kilometer ist, hatten bisher keinen Anspruch auf Kostenerstattung. Das mussten sie hinnehmen und den Schulweg selbst organisieren, indem das Kind trotzdem eine Fahrkarte bekommt oder den Schulweg zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit dem Elterntaxi zurücklegt. Für Kinder mit einem weiteren Schulweg wurde die Monatskarte ersetzt. Jetzt bekommen diese Familien aber einen ungeheuren Mehrwert, nämlich ein Schülerticket, das für alle Fahrten in Hessen gilt, also auch für private Fahrten am Wochenende zu einem Konzert oder einem auswärtigen Fußballspiel. Alle anderen Eltern müssen das Schülerticket selbst bezahlen, bei drei Kindern sind das schon über 1.000 Euro im Jahr.

Das heißt, das 365-Euro-Ticket, auf das insbesondere die Grünen sehr stolz sind, hat die Debatte erst richtig angefacht?

Das ist grundsätzlich eine gute Sache, nicht nur aus sozialen, sondern auch aus erzieherischen Gründen und zur ökologischen Steuerung der Mobilität. Aber es kann doch nicht sein, dass die einen kostenlos durch ganz Hessen reisen können und die anderen nicht, nur weil sie zufällig zu dicht an einer Schule wohnen! Das wird als willkürlich und ungerecht empfunden. Stellen Sie sich vor, nur die Lehrkräfte bekämen das Hessenticket, die mehr als 5 Kilometer von der Schule wohnen!

Spielt denn das Landes-Ticket für Lehrkräfte in den Diskussionen eine Rolle?

Gelegentlich schon. Bei einer öffentlichen Diskussion des Landeselternbeirats mit Vertretern der Landtagsfraktionen kam das schon zur Sprache, dass die Lehrkräfte ein kostenloses Landesticket bekommen und die Eltern für ihre Kinder 365 Euro bezahlen sollen. Aber für mich ist das sekundär. Das Landes-Ticket ist eine gute Sache und auch Bestandteil eines Tarifvertrags. Aber jetzt muss man genau da konsequent weiter machen: Jetzt muss das kostenlose Hessenticket für alle Schüler kommen und im Idealfall ein kostenloser öffentlicher Nahverkehr. Luxemburg macht es schon mal vor …

Was ist denn mit den Schülerinnen und Schülern der gymnasialen Oberstufe und der Beruflichen Schulen?

Die Tatsache, dass diese jungen Menschen von der Erstattung der Fahrtkosten ausgenommen sind, ist ja nicht neu. Aber dieser Umstand ist immer schwerer vermittelbar: Wir sprechen vom Bildungsland Hessen, und da ist das sicher das falsche Signal. Früher wurde argumentiert, dass die Schulträger nur zahlen müssen, solange Schulpflicht besteht. Jetzt reden alle von einer möglichst umfassenden schulischen Bildung. Und schauen Sie sich doch mal die Parkplätze und Straßen rund um unsere Beruflichen Schulen und Oberstufen an! Hier gäbe es eine dringende Notwendigkeit, die öffentlichen Verkehrsmittel durch eine kostenlose Nutzung attraktiver zu machen.

Welche Rückmeldungen gibt es bisher auf die Forderungen des LEB und des KEB?

Es hat mich schon erschüttert, dass der Antrag der SPD-Fraktion im Landtag, die Ungerechtigkeit beim Schülerticket abzubauen, mit den Stimmen der Grünen abgelehnt wurde, die sich doch die Verkehrswende auf die Fahnen geschrieben haben. Das ist jetzt meine persönliche Meinung, aber offensichtlich ist es bei der Landesregierung noch nicht angekommen, wie sehr das Thema gerade bei den Eltern hochkocht. Im Koalitionsvertrag steht zwar, dass man „weitere Flatrate-Tickets“ für andere Bevölkerungsgruppen „prüfen“ will, aber von einem kostenlosen Schülerticket, wie es der Landeselternbeirat fordert, habe ich da nichts gelesen …

Vielen Dank für das Gespräch.

Hessisches Schulgesetz: § 161 Schülerbeförderung

(1) Träger der Schülerbeförderung sind die Gemeinden, die Schulträger sind, die kreisfreien Städte und die Landkreise für die in ihrem Gebiet wohnenden Schülerinnen und Schüler der allgemein bildenden Schulen der Grundstufe (Primarstufe) und der Mittelstufe (Sekundarstufe I) und für die Schülerinnen und Schüler, die die Grundstufe der Berufsschule, das erste Jahr der Bildungsgänge nach § 39 Abs. 6 an der Berufsschule oder einer Berufsfachschule besuchen, durch deren Besuch die Vollzeitschulpflicht erfüllt werden kann. (…)

(2) Eine Beförderung ist notwendig, wenn die kürzeste Wegstrecke zwischen Wohnung und Schule sowie zwischen Wohnung oder Schule und einem sonstigen Ort, an dem regelmäßig lehrplanmäßiger Unterricht erteilt wird, für Schülerinnen und Schüler der Grundschule mehr als zwei Kilometer und für Schülerinnen und Schüler ab der fünften Jahrgangsstufe mehr als drei Kilometer beträgt. Unabhängig von der Entfernung kann die Beförderung als notwendig anerkannt werden, wenn der Schulweg eine besondere Gefahr für die Sicherheit und die Gesundheit der Schülerinnen und Schüler bedeutet oder eine Schülerin oder ein Schüler ihn aufgrund einer Behinderung nicht ohne Benutzung öffentlicher oder privater Verkehrsmittel zurücklegen kann. (…)

(5) Notwendig sind die Beförderungskosten für den Besuch (…) der nächstgelegenen, aufnahmefähigen Schule, deren Unterrichtsangebot es der Schülerin oder dem Schüler ermöglicht, den gewünschten Abschluss am Ende der Mittelstufe (Sekundarstufe I) ohne Schulwechsel zu erreichen; der Entscheidung der Eltern entsprechend gilt dabei als nächstgelegen entweder die Schule, in der der gewählte Bildungsgang der Mittelstufe schulformbezogen, oder diejenige Schule, in der er schulformübergreifend angeboten wird.

Stellungnahmen zur Forderung des Kreiselternbeirats Groß-Gerau und des Landeselternbeirats

SPD-Fraktion im Landtag

Der folgende Antrag 19/6720 der SPD-Fraktion vom 28.8.2018, der fordert, die „Ungerechtigkeit durch Kostenübernahme beim Schülerticket abzubauen“, wurde mit den Stimmen von CDU und Grünen gegen die Stimmen von SPD, Linken und FDP abgelehnt.

„(…) Der Landtag kritisiert, dass insbesondere bei Schulveranstaltungen, wie Klassenfahrten, Ausflügen oder Sportveranstaltungen, bei denen öffentliche Verkehrsmittel benutzt werden, die Eltern der Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 1 bis 10 (bei G 8 Jahrgangsstufe 9), denen das Schülerticket erstattet wird, und die somit über ein kostenfreies Schülerticket verfügen, von der Einführung des Schülertickets profitieren, während Eltern, denen es nicht erstattet wird, den vollen Fahrpreis bezahlen müssen und damit in doppelter Weise benachteiligt werden. Denn es führt dazu, dass Kinder und Jugendliche ohne Schülerticket von der Teilhabe an vielen Aktivitäten ausgeschlossen werden. (…) Der Landtag fordert die Gleichbehandlung von Schülerinnen und Schülern, die an Schulveranstaltungen teilnehmen, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln unternommen werden. (…)“

Gerald Kummer, SPD-Landtagsabgeordneter, Groß-Gerau

„Der Vorsitzende des Kreiselternbeirats Stefan Stein liegt mit seiner Position zur Schülerbeförderung und dem Schülerticket richtig. Das Thema hatte ich schon im Wahlkampf auf der Agenda. Das Land Hessen schafft künstlich und ohne Not Konkurrenz zwischen ganzen SchülerInnen-Gruppen durch die Bezugsbedingungen des kostenfreien, landesweit gültigen Hessentickets. Es ist gut, dass das Schülerticket alle Freizeitaktivitäten mit umfasst - aber schlecht, dass nur ein Teil der SchülerInnen davon profitieren soll. 

Um hier für Abhilfe zu sorgen, muss das Land Hessen nur einen einzigen Artikel des Schulgesetzes ändern und wegen der Konnexität (Prinzip: "Wer bestellt, bezahlt") die gestiegenen Kosten der Schulträger übernehmen. Damit wären die Fairness und die Gleichbehandlung zumindest bei der Schülerbeförderung wieder hergestellt. Es ist nicht gerecht, dass Schüler, die mehr als drei Kilometer von der Schule entfernt wohnten, hessenweit, also von Neckarstein bis nach Kassel werktags, sonntags und in den Ferien kostenfrei unterwegs sein können - und Schüler, die in weniger als drei Kilometer Entfernung von der Schule wohnen, für die selben Strecken Fahrkarten kaufen müssen. Es muss gleiches Recht für alle gelten. Deshalb muss die Benutzung für alle Schüler kostenfrei sein.“

Christiane Böhm, Mitglied der Landtags, DIE LINKE, Groß-Gerau

Der Kreiselternbeirat Groß-Gerau hat vollkommen recht, wenn er die Einschränkung des kostenlosen Schülertickets auf berechtigte Schüler kritisiert. Ich bin der Meinung: alle Schüler*innen sollten Bus und Bahn kostenlos nutzen zu können. Nur so können gleiche Bedingungen bei der Fahrt zur Schule, beim Treffen von Lerngruppen, Ausflügen, aber auch in der Freizeit hergestellt werden. Vielleicht würden dann auch einige Eltern und Schüler*innen lieber den Bus als das Elterntaxi nutzen, das regelmäßig zur Verstopfung der Straßen vor den Schulen führt. Allerdings wollen wir das kostenlose Schülerticket auch auf die Oberstufenschüler*innen und auf Jugendliche ohne eigenes Einkommen ausgeweitet sehen. DIE LINKE setzt sich für einen umlagenfinanzierten Nulltarif ein, der von den Nutzer*innen mit finanziert wird, dies sind Firmen, Märkte, aber auch alle Bewohner*innen des Kreises Groß-Gerau, soweit sie über Einkommen verfügen.

Foto: Stefan Stein sprach bei der Veranstaltung des GEW-Kreisverbands Groß-Gerau am 22.Mai 2018 in Rüsselsheim ein engagiertes Grußwort.